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Zigaretten, Sex & Kino

Alles, was Sie immer schon über Zigaretten und Sex wissen wollten – aber Angst hatten, Sharon Stone zu fragen….

Wenn im Film eine Frau eine Zigarette raucht, dann hat das in erster Linie mit Sex zu tun.

Kino, das ist die Industrie des Begehrens. Im Gegensatz zur Pornografie, bei der es sich um die Industrie der Befriedigung handelt. Kino befriedigt nicht unser Begehren, sondern es zeigt uns was und wie wir begehren sollen. Kino gibt uns die Fantasiebilder, die es unser Begehren nicht nur erträglich, sondern auch plausibel und vertretbar machen.

Die Befriedigungsszene in der Pornografie – der money-shot – die Ungewissheit mit Gewissheit, Vorfreude mit Bestätigung ersetzt, wird im Kino ausgespart. Ja, da gibt es den Happy-End Kuss, den Ritt in den Sonnenuntergang, aber ein Restzweifel bleibt immer. Dazu braucht man in der Schlussszene nicht einmal eine Schwiegermutter wie Cary Grant in „Über den Dächern von Nizza.“ Auch wenn eine Geschichte auf befriedigende Weise zu Ende erzählt, das Anfangsrätsel gelöst, und Held und Heldin ihre Aufgaben bewältigt haben, so bedeutet die Abblende doch immer nur das Warten auf die nächste Aufblende. Kino, das ist der ewige Schwebezustand unerreichbarer Möglichkeiten und immer währenden Begehrens, der riesenhaft vor unseren Augen flackert.

Und Begehren geht immer einher mit dem Terror der Zurückweisung. Begehren, das ist das Paradox, dass der Wunsch und die Angst in ihrer Essenz identisch sind. Eine geheime Lust, deren Ursprung zu tief in unseren Erinnerungen vergraben ist, als dass wir sie bewusst erleben könnten.

Auf der Leinwand, auf der alles überlebensgroß und nichts beiläufig ist, ist die Zigarette in der Hand einer Frau die perfekte Manifestierung des Begehrens. Sei es nun, dass die Zigarette nur beiläufig geraucht wird, wie von Jean Seaberg in „A Boute de Souffle,“ oder durchinszeniert mit perfekt ausgeleuchteter Rauch-Spirale wie bei Marlene Dietrich in Frack und Zylinder. Auf der Leinwand wird die Zigarette zum Dirigentenstab in der Orchestrierung unseres Verlangens. Im Kino wird die Zigarette zum Fetisch.

Laura Mulvey – meine von mir hoch verehrte Tutorin am British Film Institut – zitierte in ihrem berühmten Text „Visual Pleasure and Narrative Cinema“ Sigmund Freud, der ein Fetisch als Objekt beschreibt, das von der Kastrationsangst ablenken soll, die im Mann beim Anblick einer Frau ausgelöst wird. Es ist der mangelnde Penis der Frau, der Angst im männlichen Betrachter weckt und den Fetisch Objekte wie eben die Zigarette ersetzen soll. Die Zigarette ist demnach ein Phallus-Symbol. Als solches erlaubt es die Zigarette dem Mann, visuelle Lust beim Betrachten der Frau zu empfinden. Wenn die Frau im Kino eine Zigarette in der Hand hält, dann ist das nicht so sehr eine Zigarette, sondern viel mehr ein Stopp-Schild für Kastrationsängste, auf dem steht „Keine Sorge, ist alles okay.“ So gibt denn erst die Zigarette dem Standfoto zu Rita Hayworths Handschuh-Striptease in „Gilda“ seine, was Laura Mulvey als „to-be-looked-at-ness“ beschreibt. Ohne die Zigarette wäre das Foto nur ein belangloser Glamour Shot. Es ist die Zigarette, die dem Ganze eine sexuelle Komponente verabreicht. Durch die Zigarette wird Rita Hayworth fetischiert.

Die Zigarette wird so zum Requisit der Inszenierung eines perfekten Enigmas: Einer Frau mit Phallus. Doch die Lust, die dem männlichen Betrachter dabei beschert wird, hat ihren Preis. Denn jeder Phallus hat etwas Bedrohliches. Er bedeutet Rivalität und Emanzipation. Die Frau mit der Zigarette ist dem Mann – zumindest für einen kurzen, schnell verrauchten Moment – gleichgestellt. Allein schon deswegen gehört die Zigarette zur Standardausrüstung der Femme Fatale.

Nirgendwo wird dieses Wechselspiel zwischen Angst und Begehren, Kastration und Fetisch, Macht und Unterwerfung besser wiedergegeben als in der Verhörszene zwischen Michael Douglas und Sharon Stone in Paul Verhoevens „Basic Instinct.“ Sharon Stone als Catherine Tramell ist auf dem Verhörstuhl dem Blick des Mannes ausgeliefert, sie ist gefangen in einem Verhörzimmer, das durch die Beleuchtung einer Gefängniszelle gleicht. Und dennoch beherrscht, ja lenkt sie Detective Currans (Michael Douglas) Blick – einem Verzweifelten, der nicht nur die Kontrolle über seinen Blick, sondern auch über sich selbst und sein Leben verloren hat. Sie beherrscht ihn, indem sie entblößt, was Curran am meisten begehrt zugleich fürchtet. Im Kino ist das Auge, der Blick das alles beherrschende Prinzip und Sharon Stone manipuliert ihn, ja bemächtigt sich seiner nicht zuletzt mit Hilfe der Zigarette in ihrer Hand. Die Zigarette ist Symbol dafür, dass sie – und nicht Curran – Herrin der Lage ist.

„Basic Instinct“ wie auch der Film Noir der 40er Jahre thematisiert die männliche Identitätskrise. Der verzweifelte, verlorene Held, dem nur noch der Zynismus – laut Aristoteles der ‚Protest der Schwachen’ – geblieben ist, muss sich gegenüber dem Enigma Frau behaupten. Und so sind es denn hauptsächlich rauchende Frauen, die den Film Noir zu der erotisch aufgeladenen Gratwanderung zwischen Angst und Verlangen machen. Angst, so zeigt uns Freud, ist nichts anderes als der Zustand der Erwartung von sowohl Schmerz als auch Lust. So ist Angst denn oft eine geheime Lust, über die wir nicht gerne reden, weil wir Angst haben, sie durch das Reden zu verlieren. Die Femme Fatale des Film Noirs ist die Personifizierung dieser geheimen Lust und ihre Zigarette ist das Symbol des Damokles Schwerts, das sie über dem männlichen Auge baumeln lässt. So wird denn auch in keinem anderen Film Genre so schön geraucht wie im Film Noir.

Für die weibliche Betrachterin der rauchenden Frau ist die Zigarette denn auch ein Symbol der Gleichberechtigung. Natürlich weiß sie, dass die rauchende Femme Fatale buchstäblich mit dem Feuer spielt. Aber der Machtfantasie, die sich ihr da auf der Leinwand präsentiert, kann sie trotzdem nachhängen. Und der rauchende Mann? Bei ihm ist die Zigarette eine kleine, subtile Version der Maschinengewehre, mit denen sich der halbnackte Silvester Stallone in „Rambo“ behängt. Es handelt sich, Sie werden es sich schon gedacht haben, um eine Phallus Symbol.

Ähnlich wie es Rambos Maschinengewehre dem männlichen, heterosexuellen Zuschauer erlauben, den Anblick von Stallones nacktem Oberkörper zu genießen, ohne dabei in eine homoerotische Panik zu verfallen, gibt die Zigarette auch Humphrey Bogart seine „to-be-looked-at-ness.“ Die Zigarette signalisiert dem männlichen Zuschauer, dass er getrost Bogarts Anblick auf sich wirken lassen, ja ihn begehren kann, ohne dass er dabei seine eigene Sexualität hinterfragen müsste.

Gut, Zigarette = Phallus. So ganz neu ist Ihnen diese These sicherlich nicht. Doch den Symbolcharakter der Zigarette im Film zu identifizieren, genügt nicht. Die Zigarette auf der Kinoleinwand wirft die Frage auf: Was ist das überhaupt, Begehren? Wie schafft es das Kino immer wieder, unsere Begehren zu definieren? Unserem Begehren Bilder zu geben?

Begehren, das ist wie wenn uns jemand ein Geheimnis über uns selbst ins Ohr flüstert, das wir vorher noch nicht kannten. Wir denken, wir kennen unser Begehr, doch wenn wir es befriedigt finden, so müssen wir meistens feststellen, dass die Realität der Fantasie nicht standhalten kann. Ähnlich wie wenn man seinen Leinwandhelden in realiter vor sich stehen sieht und enttäuscht ist. Damit ist Begehren flüchtig und ungreifbar wie Zigarettenrauch. Und genau wie bei der Zigarette liegt der Sinn, der eigentliche Lustgewinn im Akt. Begehren kann man ebenso wenig besitzen wie man das Rauchen besitzen kann. Es ist ein todgeweihter Lustmoment.

Begehren ist das, was uns ein schlechtes Gewissen gibt, wenn wir es betrügen. Doch in einer Gesellschaft, in der unsere tatsächlichen Begehren durch Moralvorstellungen permanent unterdrückt und eingeschläfert werden, sind wir gezwungen unsere Begehren in das Begehren nach Wissen zu transformieren. Dieses Verlangen nach Wissen wird durch die Handlung eines Films bedient. Der Frage, die sich am Anfang einer jeden Handlung stellt, wird im klassischen Kino dem Zuschauer die Antwort gegeben. Dass wir aber noch andere Begehren haben, daran erinnert uns die Zigarette. Denn im Kino, wie im echten Leben gilt: Ich begehre, also bin ich.

Published in “Thank You for Smoking – eine Publikation des Deutschen Filminstituts”