BILD DER FRAU von Katja Eichinger; erschienen am 20./21. Januar 2023 in der Süddeutschen Zeitung.
Als Peter Lindbergh 1989 im New Yorker Meatpacking District auf der Straße stand und eine Gruppe junger Frauen fotografierte, wusste niemand, dass hier gerade der Zeitgeist neu definiert wurde. 1989, das war nicht nur Mauerfall, Ende des Kalten Kriegs, Erfindung des World Wide Webs, sondern eben auch die Geburt einer ganz neuen Art von Venus: Dem Supermodel.
Lindberghs Foto wurde zum Cover der Januar Ausgabe der britischen Vogue von 1990. Die jungen Frauen auf dem Foto – Naomi Campbell, Linda Evangelista, Tatjana Patitz, Christy Turlington und Cindy Crawford – wurden zu Weltstars. Jede von ihnen verkörperte einen speziellen Typ. Ähnlich wie die antiken Göttinnen im Olymp umwehte jede von ihnen bestimmte Charaktereigenschaften, die sich aber nicht so sehr aus Interviews, sondern viel mehr aus ihrem Erscheinungsbild und non-verbalen Auftreten ergaben. Die kürzlich verstorbene Tatjana Patitz war dabei die Geheimnisvolle. Der schillernd schöne Gletschersee, unter dem sich mysteriöse Tiefen verbargen. Ob dem wirklich so war, wussten wir nicht. Die Supermodels waren Idealbilder, auf die wir unsere Träume und Begehren projizierten. Auch Helena Christensen, Amber Valetta, Claudia Schiffer und Kate Moss gehörten bald zu dieser kleinen Gruppe der Auserwählten. Frauen, die während der gesamten 90er und in manchen Fällen sogar noch bis in die 2000er ideale Weiblichkeit verkörperten. Bzw. auf deren Körpern von der Mode- und Werbeindustrie Weiblichkeitsideale inszeniert wurden.
Ich bin mit diesen Frauen erwachsen geworden. Ihre Gesichter haben mir aus Modestrecken, Werbung und Billboards teilweise überlebensgroß entgegen gestrahlt. Es war unmöglich, sich ihnen zu entziehen. Ähnlich wie Schlagermusik oder Werbeslogans („Nicht nur sauber, sondern rein“) haben sich ihre Züge tief in mein Langzeitgedächtnis gegraben. So omnipräsent waren ihre Bilder, ich würde mich nicht wundern, wenn sie sogar epigenetisch meine DNA verändert hätten. Sie wurden immer wieder neu inszeniert, wechselten ihre Erscheinung, verkörperten die unterschiedlichsten Vorstellungen vom weiblichen Ideal, und blieben dabei doch immer sie selbst. Claudia konnte tragen, was sie wollte, aber am Ende blieb sie doch immer Claudia. Was da vermittelt wurde, waren nicht nur gewisse körperliche Ideale, sondern vor allem auch das kapitalistische Ideal von der Frau als Chamäleon, die mit Konsumprodukten ständig ihre Identitäten wechseln kann, aber dennoch immer sie selbst bleibt. Sie ist mehr als die Summe ihrer Konsumprodukte, sie ist authentisch. Das Copyright ist nun mal das Grundprinzip des Kapitalismus.
Das Lebensgefühl, das Peter Lindberghs Supermodel Fotos ausmacht, ist denn auch Natürlichkeit. Die Models trugen Jeans und nur minimales Make-Up. Ihr Haar war zwar frisiert, doch von den „big hair“ Haarspray Orgien der 80er weit entfernt. Da schienen echte Menschen in die Kamera zu blicken, keine Kunstfiguren wie sie bisher die Modewelt beherrscht hatten. Wir meinten, einen kleinen Einblick in ihre Seele zu erhaschen. Auch Claudia Schiffer begann ihre Karriere als Verkörperung von blonder Natürlichkeit. Und es waren die Fotos der britischen Fotografin Corinne Day, in denen Kate Moss als Mischung aus Straßenbengel und Grunge-Fee zu sehen war, die Moss berühmt machten. Am Anfang ihrer langen Reise durch die unendlich vielen Reinkarnationen der Modewelt stand das Versprechen von Authentizität.
Bei aller Wechselhaftigkeit, bei aller Inszenierung, Authentizität ist das Kern-Modul des Supermodel Konstrukts. Jede einzelne dieser Frauen stand für eine Marke, die aufgebaut und gepflegt wurde. Doch diese Marken konnten nur funktionieren, wenn ihnen – wie bei allen Stars – nicht zumindest die Illusion von Einzigartigkeit und Charisma innewohnte.
Heute ist es normal geworden, dass Menschen sich selbst als Marke wahrnehmen. Noch vor 20 Jahren war das anders. Das erste Mal, dass eine Person sich mir gegenüber als Marke beschrieb und ihr öffentliches Image dementsprechend strategisch analysierte, war, als ich Claudia Schiffer Anfang der 2000er für die britische Financial Times interviewte. Aus heutiger Sicht war ihre Auffassung von self-branding visionär. Damals stieß sie auf Unverständnis. Nachdem ich meine Story eingeschickt hatte, rief mich mein Redaktionsleiter an und fragte entgeistert: „Hat sie das wirklich gesagt?“ Er fand es völlig absurd, dass man sich selbst als Marke bezeichnete. Aber er war ja auch kein Supermodel und hatte nicht die Hälfte seines Lebens erfahren, dass der eigene Körper und öffentliche Persona objektifiziert wurde. Er verstand nicht, dass der eigene Körper wie auch die eigene Persona ein asset waren, mit dem ein Supermodel zwar auch selbst, aber in erster Linie andere Leute sehr viel Geld verdient hatten. Dazu kam noch, dass es damals wie heute immer noch schwer vorstellbar war, dass eine sexy Blondine einen ebenso klaren wie visionären Geschäftssinn haben konnte.
Ich habe Claudia Schiffer damals vor allem als kluge Geschäftsfrau wahrgenommen. Eine Frau, die es geschafft hatte, Kontrolle über ihr eigenes Image zu erlangen. Und das in einer extrem sexistischen Branche, die viele traumatisiert und psychisch kaputt zurücklässt. Eine Frau, die sich vom üblichen Narrativ des ausgebeuteten Stars befreien konnte. Nur dass diese Seite eines Supermodels niemand hören wollte. Ihre Schönheit und Charisma, sollte eben nicht durchdacht, sondern natürlich sein. Ihr Ruhm sollte einzig und allein auf der Magie ihrer Schönheit basieren. Einer Schönheit, die ihnen von Gott gegeben war. In diesem Sinne erzählt das Supermodel ein ähnliches Märchen wie die Monarchie. Die Mär vom Menschen, der einfach durch seine Geburt, etwas Besonders ist.
Die Selbstermächtigung, das eigene Image selbst gestalten und seinen Ruhm für seine eigenen Geschäftsinteressen instrumentalisieren zu können, ist auch das Versprechen, das den sozialen Medien innewohnt. Hier kann jeder sein eigener Vermarkter sein. Berühmte Models haben oft Millionen von Followern auf Instagram. Sie können direkt mit Sponsoren zusammenarbeiten, können ihr Image selbst gestalten, sind nicht mehr auf Mittels-Männer und Frauen angewiesen. Ihren Geschäftssinn müssen sie nicht mehr verstecken. Der neue Beruf des Influencers macht keinen Hehl mehr daraus, dass sie ihr gesamtes Leben als Werbefläche zur Verfügung stellen. Doch trotz all dieser Follower schafft es keins dieser neuen Generation an Models, mit dem Ruhm der Supermodels mitzuhalten. Keine von ihnen vermag es, in den Mode-Olymp aufzusteigen, in dem sich die Supermodels bewegen. Es gibt einfach zu viele von ihnen, der Modezyklus ist zu schnell geworden, die permanente Berieselung durch die unterschiedlichsten Kanäle zu stark, als dass Models es heute schaffen könnten, den Status einer globalen Ikone zu erreichen. Es gibt keine allmächtige Vogue mehr, die sie dazu erheben könnte. Die sozialen Medien haben zwar nicht zu einer Demokratisierung unserer Gesellschaft geführt – im Gegenteil – sie haben aber sehr wohl eine Fragmentisierung von Konsum-Macht bewirkt. In anderen Worten, wer heute auf das Cover der Vogue kommt mag eine kurzfristige Popularität erleben, aber eine langfristige Model Karriere erreicht man damit nicht automatisch.
Was zur Folge hat, dass Supermodels wie Kate Moss, Naomi Campbell und Claudia Schiffer weiterhin die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Erst vor kurzem überraschte Kate Moss damit, erstmals Interviews zu geben. Es war ein Schock. Die Frau, der berufliches wie privates Leben wir in Millionen von Fotos verfolgt hatten, redete plötzlich. Kurz darauf launchte sie „Cosmoss,“ ihre eigene Serie an semi-esoterischen Pflegeprodukten, Tees und Kerzen, die zum Wohlbefinden beitragen sollen. Nachdem wir jahrelang beobachtet hatten, wie Weiblichkeit via die Supermodels inszeniert wurde, schauen wir jetzt zu, wie die Supermodels selbst ihre Weiblichkeit inszenieren. Was unweigerlich zu Mutmaßungen darüber führt, wer was hat machen lassen. Sind die Lippen noch echt? Sind das koreanische Fäden, die da die Wangen hochhalten? Wieviel Botox ist da im Spiel? Ihre Gesichter werden gescannt, analysiert und degradiert. Den Supermodels, die heute noch in der Öffentlichkeit stehen, fällt jetzt die undankbare Aufgabe zu, weibliche Schönheitsideale jenseits der 50 zu definieren. Wie schon einmal in ihrer Karriere betreten sie damit absolutes Neuland. Nicht zuletzt durch die Supermodels ist die Frau ab 50 ist nicht mehr automatisch unsichtbar, aber inwiefern ist sie begehrenswert? Dazu scheint jedes Supermodel, wenn es sich denn nicht komplett die Kameras meidet, ihre eigene Antwort zu suchen – sei es nun in Zusammenarbeit oder ohne die Hilfe eines Schönheitschirurgen.
Als ich mit Peter Lindbergh in den Tagen vor seinem Tod via Email über mein Buch „Mode und andere Neurosen“ kommunizierte, war er traurig darüber, dass sich Frauen ihre Falten wegspritzen ließen. Denn damit würden wir doch unsere Erlebnisse, Erinnerungen und Emotionen wegspritzen. Es schien ihn zu deprimieren, dass wir als Gesellschaft immer noch an dem Schönheitsideal der Jugendlichkeit festhalten. Das Ausradieren von vermeintlichen Imperfektionen – sei es in einem Foto durch Photoshop oder in einem Gesicht durch Botox – war ihm zuwider. Die Vortäuschung von Jugendlichkeit bzw. das Festhalten am früheren Aussehen ist nun mal das Programm, dem viele Frauen nacheifern. Wir balsamieren uns ein, paralysieren oft schon mit Anfang 30 die Muskeln um Falten vorzubeugen und versuchen so, einzureden, dass sich der Verfall und damit in letzter Konsequenz der Tod vermeiden lassen können.
Nun aber ist Tatjana Patitz gestorben. Eine sehr traurige Nachricht. Mit ihrem Tod hat auch die Supermodels die Vergänglichkeit eingeholt. Und damit eben auch uns. Tod ist Kontrollverlust. Die Illusion von ewiger Jugend und Unsterblichkeit zerplatzt damit wie eine Seifenblase. Und wenn wir nun darüber nachdenken, was das mit unseren Schönheitsidealen und Vorstellungen von Weiblichkeit macht, möchte ich mit einem Auszug aus Peter Lindberghs letzter Email an mich enden, der für Supermodels gilt wie auch jeden von uns: „Schönheit ist fragil, intim und immer verbunden mit dem Individuum. Schönheit stirbt durch Verallgemeinerung, aber auch durch Manipulation.... Eine Mund ist dann schön, wenn er intelligente Dinge sagt.“