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Morgen wird Sex wieder gut

Rezension von Katherine Angels Sachbuch "Morgen wird Sex wieder gut." Erschienen in der Süddeutschen Zeitung am 12. September 2022

Vor ein paar Tagen war ich noch im Urlaub an da Cote d’Azur. Kurz vor den Ferien hatte ich mit großer Begeisterung „Morgen wird Sex wieder gut“ von Katherine Angel gelesen, einem Buch über die Komplexität weiblichen Begehrens. Im Rahmen der Debatte über sexualisierte Gewalt und weibliche Selbstbestimmung ein wichtiges und sehr lesenswertes Buch, in dem Angel nuanciert die feministischen Debatten der letzten Jahre zusammenfasst. Es besteht aus vier Essays zu den Themen Konsens, Begehren, Erregung und Verletzlichkeit, die mir in Frankreich immer wieder während meiner langen Spaziergänge durch den Kopf gingen. Sah ich an der Strandpromenade doch über 70-jährige Frauen, die schulterfreies Dekolleté trugen und immer noch ein Verhältnis zu ihrer eigenen Sexualität hatte. Überall begegnete mir die französische Flirtkultur in all ihren Kodierungen und Ritualen, wie sie in Deutschland nicht existiert. Ich musste an den öffentlichen Brief denken, den 2018 hundert prominente Französinnen – darunter auch Catherine Deneuve – als Reaktion auf die von Amerika ausgehende „Me Too“ Bewegung verfasst hatten. „Me Too“ war entstanden, als die sexuellen Gewalttaten des Filmproduzenten Harvey Weinstein bekannt wurden, und Frauen ihre Solidarität mit den Opfern bekundeten sowie ähnliche Erlebnisse schilderten. Die hundert Französinnen bezeichneten „Me Too“ als Hexenjagd, als eine Rückkehr zur Prüderie und ein „Gesicht des Hasses auf Männer und Sexualität.“
Angesichts all des erotischen Selbstbewusstseins, das mich hier an der Cote d’Azur umgab, fragte ich mich: Sind die Zustände in Sachen Sex hier in Frankreich tatsächlich anders als im Rest der Welt? Braucht es hier kein Buch wie das von Katherine Angel, das uns daran erinnert, dass der weibliche Körper immer noch ein Schlachtfeld für politische Diskurse ist? Dass Frauen von allen Seiten vorgeschrieben wird, wie wir uns in unseren Körper und unserer Sexualität zu verhalten haben?

Die Antwort erhielt ich während einer kleinen Morgenwanderung in einem Naturschutzgebiet in der Nähe meiner Wohnung. Wie immer waren viele Jogger unterwegs sowie Leute, die ihre Hunde ausführten. Der Stall für die örtlichen Polizeipferde befindet sich dort. Ein sicherer Ort. Ganz besonders morgens um zehn. Dachte ich jedenfalls, bis ich auf meinem Pfad innehielt, um eine Pflanze zu fotografieren. Ich hörte ein Rascheln hinter mir und drehte mich um. Da stand ein Mitte-40-jähriger Mann und masturbierte, während er mich anstarrte. Nun bin ich eine große Frau und habe früher intensiv Kampfsport betrieben. Ich habe kein Problem damit, Aggression mit Aggression zu begegnen. Trotzdem habe ich nichts gesagt und bin einfach nur weggelaufen. Im Nachhinein ärgert mich meine Angstreaktion. Sie passt nicht zu meinem Selbstverständnis als Frau und als Feministin. Sogar Catherine Deneuve hätte da sicherlich souveräner reagiert. Aber eins war mir nach dieser unangenehmen Begegnung klar: In Frankreich geht es auch nicht anders zu als im Englischen Garten oder sonstwo auf der Welt.

Sexuelle Belästigungen gehören immer noch zum Alltag von Frauen. „Eine von fünf Frauen,“ so Katherine Angel „musste in ihrem Leben eine Vergewaltigung oder eine versuchte Vergewaltigung durchmachen.“ Jeden dritten Tag bringt in Deutschland ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin um. Frau zu sein, bedeutet immer noch, auf der Hut zu sein, sich abzusichern, Gefahrensituationen vorauszusehen. Frauen, die das nicht tun, weil sie vielleicht betrunken sind oder offen ihre Sexualität leben, werden als „dumm“ bezeichnet. Widerfährt ihnen sexuelle Gewalt, wird ihnen eine Mitschuld unterstellt. Und zwar nicht nur in Naturschutzgebieten, sondern auch am Arbeitsplatz, in der Bar, im Nachtklub und vor allem auch im Schlafzimmer.

Angel beschreibt, wie sich Im Zuge der „Me Too“ Bewegung ein Konsens-Diskurs entwickelte, durch den zumindest im Privaten sexuellen Übergriffen und Missbrauch vorgebeugt werden soll. Aufbauend auf dem „Nein bedeutet Nein“ der Kampagnen gegen sexuelle Gewalt der 70er Jahre, soll ein klar formulierter Konsens den Missständen in unserer Sexualkultur entgegenwirken. Dabei ist es vor allem an der Frau zu formulieren, ob sie will und wenn ja, was genau sie will. Ähnlich wie in den 80ern, als wir lernten den Gebrauch von Kondomen zu thematisieren und uns vor HIV zu schützen, versprechen sich die AnhängerInnen der Konsens-Unterhaltung guten Sex ohne bitteren Nachgeschmack. Deutliche Worte, ein protestantisches, wenn auch nicht unbedingt phallisches „Ich stehe hier und kann nicht anders“ sollten endlich Klarheit in die sexuelle Grauzone bringen.

Dass eine solche Konsens-Unterhaltung zwischen zwei potentiellen Sexualpartnern, die Wunderwaffe sowohl gegen sexualisierte Gewalt wie auch schlechten Sex sein soll, dagegen richtet sich Angels „Morgen wird Sex wieder gut.“ Der Titel bezieht sich dabei auf ein Zitat des französischen Philosophen Michel Foucault von 1976 in „Der Wille zum Wissen,“ in dem er süffisant den Trugschluss der progressiven Bourgeoisie beschreibt, dass „wir nur endlich die Wahrheit über Sexualität sagen müssen, um uns von der moralisierenden Umklammerung (...) zu befreien.“ Dass eben Sex und das Reden über Sex unweigerlich zur politischen Emanzipation führt.

Angel hinterfragt den „Selbstvertauensfeminismus,“ der von Frauen abverlangt, zu jeder Zeit zu wissen, was sie wollen und was nicht, und so den Frauen das Gefühl vermittelt zu versagen oder selbst für ihr Unglück verantwortlich zu sein, wenn ihnen das nicht gelingt. Dabei beschreibt sie die allgegenwärtige Diskrepanz zwischen der forschen Selbstbestimmungs-Rhetorik, mit der wir öffentlich über weibliche Sexualität reden, und der Realität wie sie von Frauen erlebt wird. Eine Realität, die eben oft so viel verwirrender und von Zwängen und Gefahren geprägt ist, als wir uns eingestehen wollen.

Doch nur weil Angel den Wert einer Konsens-Unterhaltung in Frage stellt, bedeutet das nicht, dass sie sich auf die Seite der Relativierer und Entschuldiger stellt und wie Catherine Deneuve & Co. im deklarierten Konsens den Untergang der Erotik sieht. Konsens ist für Angel das absolute Minimum. Aber die Absenz einer Straftat, das stellt Angel auf sehr kluge und differenzierte Art dar, heißt noch lange nicht, dass der Sex auch wirklich gut ist und sich die Frau dabei wohl fühlt. Ihr Buch ist als Versuch zu verstehen, die Nuancen für den Feminismus wiederzuentdecken. Nein heißt immer noch Nein bei Angel. Aber auch eine Frau, die sich ihrer Bedürfnisse nicht ganz im Klaren ist, die nie gelernt hat, ihr Begehren zu formulieren, oder die einfach nur betrunken ist, hat ein Recht darauf, ohne sexuelle Gewalt zu leben und auch Lust zu empfinden.

„Schlechter Sex ist“, so Angel „ein politisches Thema,“ denn er reflektiert eine allgemeine Schieflage von Macht und Lust. Einer Schieflage, die z.B. dadurch bedingt ist, dass Frauen immer noch beigebracht wird, sich „übermäßig um die Gefühle der Männer zu sorgen,“ dass Frauen immer noch damit rechnen müssen, dass ihr sexuelles Verlangen als Grundlage genommen wird „um männliche Gewalt zu rechtfertigen.“ Oder dass eben junge Frauen durch allgegenwärtige Online-Pornographie sich unter Druck gesetzt fühlen, in sexuelle Handlungen einzuwilligen, die sie im Nachhinein als traumatisch empfinden. Ein Akt des Begehrens, so Angel, ist für Frauen im Alltag oft immer noch eine Form des sozialen, emotionalen wie auch physischen Risikomanagements.
„Morgen wird Sex wieder gut“ ist kein Ratgeber, wie wir das verwirrende Labyrinth kindlicher Prägung, Scham, Macht, Lust, Begehren und Verletzlichkeit, das da heißt Sexualität, navigieren sollen. Vielmehr beschreibt Angel, dass Verwirrung und Verletzlichkeit zur weiblichen Erfahrung von Sexualität immer noch dazu gehören. Dass die Dinge eben komplizierter sind als wir sie uns im Eifer unserer Empörung gerne zurecht reden. Dass die Rettung selten in der schnellen Antwort oder dem selbstgerechten Rat, sondern immer in der Freiheit der sokratischen Ratlosigkeit liegt. Zu wissen, dass ich nichts weiß, macht mich genauso wenig zu einer schlechten Feministin wie, wenn ich dem Exhibitionisten im Naturschutzgebiet keins auf die Nase oder sonstwohin gebe.
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